Heinrich Seidel: Neues Glockenspiel

V. EPIGRAMME UND HUMORISTISCHES.


ALS ICH HUNOLD'S*)  BILD IN DER KUNSTAUSSTELLUNG FAND.

Ein Gedicht in Schüttelreimen
von
Johannes Köhnke

Das ist der Löwe, das sind seine Klauen!
Die rücksichtslos so manche kleine Sauen
Auf die vorwitz'gen Vorderbeine hauen,
Wenn Verse sie salopp, wie Heine, bauen.

Das ist er ganz, das sind die Dichterlocken,
Um's Antlitz hängen sie gleich Lichterdocken,
Und stolz umgibt die Mähne schlichter Flocken
Das Haupt, das nie vor seiner Pflicht erschrocken.

Das ist die Stirn, der Verseleimekasten,
Darin zu manchem Lied die Keime lasten,
Wo sie gleich Garben in der Feime rasten,
Bis Dichterkünste sie in Reime fassten.

Zwar war sein Höchstes nie das scharfe Denken,
Doch Reime kann er nach Bedarfe schenken,
Mit vielem Glück die Aeolsharfe lenken
Und an den Kaak des Witzes Larve henken.

Bedrückt von Ehrfurcht schweiget meine Leier,
Bald bringt dich nun gewiss der "kleine Meyer!"
Doch nimm zuvor hier Köhnke's reine Feier -
Hoch schwinge sich dein Ruhm, der feine Reiher!

Und hab' ich heut auch wie ein Schwein gesungen,
Das Plektron nicht, wie es soll sein, geschwungen,
Trotzdem ich mich fast kurz und klein gerungen,
So hat's am Schluss doch ziemlich rein geklungen.


*) Hunold Müller von der Havel ist der Vorsitzende des "Allgemeinen deutschen Reimvereins" und Redakteur der "Aeolsharfe". Er hält nichts von Witz und Humor, und von ihm stammen die Aussprüche: "Das Denken, nicht das Dichten bracht' uns um's Paradies" sowie: "Reimen muss die Nationalbeschäftigung der deutschen Nation werden".
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