Wilhelm Schmidt-Brädikow

Cary

Ich saß zu deinen Füßen,
du liebes, trautes Kind;
mit deinen Locken spielte
der laue Abendwind.

Dein blaues Auge schaute
ins ferne Abendrot,
die warme Frühlingssonne
dir ihren Abschied bot.

Der Wald sang leise Weisen,
ein trautes Schlummerlied;
die Wipfel rings sich neigten,
als ob er von dir schied.

Die Welle sandte Kühle
zur tiefen Abendruh;
die Blumen hauchten kosend
den süßen Duft dir zu.

Da sank dein Haupt zurücke
auf eines Steines Moos;
die dunkle Wimper deckte
das Auge klar und groß,

und auf den bleichen Wangen
erblühten Röslein rot. —
Es kündeten die Rosen
mir deinen nahen Tod.

Es hob die Brust sich leise;
du lächeltest im Traum,
und deine Seele schwebte
wohl schon ob Zeit und Raum.

Mir hat das Herz geblutet
Vor übergroßem Weh. —
Nun ist es Winter worden.
Dein Grab deckt kalter Schnee.

Quelle: Conrad Ziegler, Dichter im deutschen Schulhause, Bielefeld 1892

(eingesandt von Krino Hoogestraat: Krino.Hoogestraat@t-online.de)


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